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Aus zwei Gemeinden wurde eine

Im Sommer 2014 wurde im Gemeindehaus der Gemeinde Christi am Laimer Platz ein  außergewöhnliches Fest gefeiert: Aus zwei Gemeinden wurde eine. Dieses Ereignis schien jahrzehntelang undenkbar. Die Vereinigung einer „Gemeinde Christi“ mit einer „Internationalen Gemeinde Christi“ in München sorgte weltweit für Beachtung.

Denn beide Bewegungen haben eine gemeinsame Geschichte, deren Wurzeln in der Restaurationsbewegung liegen, und eine deutlich getrennte Geschichte: Von den Gemeinden Christi spaltete sich in den USA Ende der 1970er Jahre die Internationale Gemeinde Christi (International Churches of Christ - ICOC) ab - und das ging einher mit Streitigkeiten, gegenseitigem Misstrauen und Verurteilungen. Die ICOC nannte ihre Muttergemeinde „nicht genug hingegeben“; diese wiederum bezeichnete die abgespaltene Bewegung als „Jugendsekte“. Es herrschte Funkstille. Auch in München, wo es seit 1989 Ortsgemeinden beider Richtungen gab.

 

Ein folgenschwerer Anruf

Das änderte sich 2004, als Reiner Kallus, damaliger Prediger der ursprünglichen Gemeinde Christi, zum Telefonhörer griff. „Ich war kurz vorher in den USA, um mich bei den Gemeinden zu bedanken, die mich finanziell unterstützen. In Atlanta erlebte ich mit, wie zwei Familien in die Gemeinde aufgenommen wurden, die vorher bei der ICOC waren. Die Ältesten fragten mich später, ob ich Kontakt zur ICOC in München hätte. Ich verneinte. Sie ermutigten mich, Verbindung aufzunehmen, um Einheit zu suchen.“

Die beiden damaligen Pastoren der Münchner ICOC, Micha Brück und Bernhard Georg, waren positiv überrascht vom Anruf und stimmten einem Treffen mit Reiner Kallus und seinem Sohn Stephan, der damals ebenfalls Prediger war, zu. Daraus wurde ein regelmäßiges Meeting alle zwei Wochen, bei dem die vier über Lehrfragen der Bibel und verschiedene Sichtweisen sprachen. „Wir kamen uns schnell sehr nah. Es entstand Vertrauen“, erinnert sich Micha Brück.  Sie kamen auch auf die geschehenen Verletzungen zu sprechen, für die sie sich stellvertretend gegenseitig entschuldigten und – wo möglich – die Gemeindepraxis veränderten. Bald stellten die vier aufgrund der Übereinstimmungen in entscheidenden theologischen Fragen fest: „Wir sind geistliche Geschwister!“.

 

Gemeinsame Gottesdienste

Die Kontaktaufnahme stieß jedoch auf ein gespaltenes Echo: Während dieser Schritt viele Mitglieder beider Gemeinden bewegte, blieben manche skeptisch. Um mehr Kontakt herzustellen, wurden zunächst hin und wieder die Prediger „getauscht“. Ab 2007 feierten beide Gemeinden alle zwei Monate zusammen Gottesdienst. Man lobte Gott gemeinsam, aber es trafen zwei verschiedene Versammlungskulturen aufeinander. Beispielsweise verzichteten die ICOC-Geschwister bei den gemeinsamen Versammlungen bewusst auf Musikinstrumente, da die traditionelle Gemeinde biblische Vorbehalte gegen Musikinstrumente im Gottesdienst hatte.

 

Raumsuche der ICOC

Als die ICOC im Jahr 2010 auf der Suche nach einem Versammlungsort war, machte Reiner Kallus den weitreichenden Vorschlag, ins Gemeindehaus der Gemeinde Christi zur Miete einzuziehen. Dort konnte die ICOC am Sonntagnachmittag einen separaten Gottesdienst feiern. Nach dem Einzug im Dezember 2010 folgte der nächste Schritt des Zusammengehens: Markus Drehsel wurde Anfang 2011 als erster gemeinsamer Mitarbeiter für die Jugendarbeit in beiden Gemeinden eingestellt.

 

„Heiße Eisen“ klären

Während der ganzen Zeit liefen die Gespräche auf Leitungsebene weiter. Die zentrale Fragestellung lautete:  Wollen wir eine Vereinigung? Ist eine Vereinigung möglich? Allen Beteiligten war bewusst, wie sehr Gott Einheit möchte (Joh. 17, 11b). Die Leitungsteams der Gemeinden trafen sich nun monatlich, um über die „heißen Eisen“ zu sprechen. Es ging um Themen wie Mission, Jüngerschaft, Rolle der Frau, Musikinstrumente, Zugehörigkeit zu Dachverbänden. Jedes Thema wurde biblisch aufgearbeitet und diskutiert. Es gab viele Fragen, manchmal auch Kontroversen, aber immer viel Demut und Offenheit. „Die Bereitschaft war groß, Dinge anders machen zu wollen, wenn man sich damit aufeinander zu bewegen konnte“, erinnert sich Micha Brück. Mit Blick auf Reiner Kallus sagt er: „So ‚umkehrwillig‘ will ich mit 80 auch noch sein. Diese Haltung - wenn die Bibel das sagt – hat es sehr leicht gemacht.“ So meinte Reiner beispielsweise nach einer Studie über biblische Jüngerschaft in einem der Treffen: „Wenn das Jüngerschaft ist, will ich das auch.“

Der Blick auf die jeweiligen Stärken und Schwächen zeigte klar, wie sehr beide Seiten einander brauchten. Während bei der Gemeinde Christi die fundierte biblische Lehre sehr im Vordergrund steht, ist bei der ICOC die Umsetzung des „Lehret sie zu halten alles, was ich euch geboten habe“ (Mt. 28, 20) in Form von engen Beziehungen als Weggefährten und gelebter Jüngerschaft eine große Stärke; ebenso die Hingabe in der Mission.  Dagegen sei das tiefe Bibelverständnis oft nicht so ausgeprägt. „Das Selbständig-Sein wurde früher in der ICOC nicht gefördert“, sagt Micha Brück. Anerkennend meint Stephan Kallus: „Von Anfang an war ich von der Offenheit der Mitglieder der ICOC sehr beeindruckt. Dies war nicht durchgängig Bestandteil unserer Kultur.“ Der Prozess des Zusammenwachsens wurde mit Input und Rat von Ältesten und Kollegen aus beiden Gemeinden begleitet.

 

Fasten und Beten

Die im Leiterteam erarbeiteten Themen wurden nun in beiden Gemeinden behandelt und diskutiert. Auch überarbeiteten die Prediger gemeinsam die sogenannten Grundlagen-Studien beider Gemeinden und präsentierten das Ergebnis als Predigtreihe. Ziel dieser Grundlagen-Studien ist es, einerseits die Bausteine des eigenen Glaubens anhand der Bibel zu überprüfen und zu festigen. Andererseits sind diese Studien ein hilfreicher Leitfaden beim Begleiten eines Suchenden auf seinem Weg zum Christ-Werden.

„Wir merkten immer wieder, dass nicht nur die gemeinsame Theologie wichtig war, sondern vor allem das Miteinander-Leben; ein echtes Interesse am anderen zu haben, ohne verurteilend aufeinander herabzuschauen. Deshalb forderten wir die Geschwister auf beiden Seiten auf, einander besser kennenzulernen und sich auszutauschen“, so Micha Brück. Am Ende des Prozesses gab es ein vierwöchiges Innehalten, in denen Zeit für Fasten und Gebet war. Gott sollte noch mehr Raum gegeben werden, um mögliche biblische Bedenken herauszufinden. Jede Gemeinde hielt eine eigene Versammlung ab, um den Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, Bedenken zu äußern. In beiden Gemeinden standen die meisten Mitglieder der Vereinigung positiv gegenüber und Gottes Vision von Einigkeit wurde wahr: Am 26. und 27. Juli 2014 feierten die Münchner Geschwister ihr Fest der Vereinigung.

Im Oktober 2016 wurden dann zwei Älteste eingesetzt; von jeder früheren Gemeinde einer: Steve Krater stammte aus der ICOC und Stephan Kallus aus der Gemeinde Christi.

 

Zusammenwachsen

Seither wachsen beide Teile weiter zusammen. Mit gemeinsamen Aktivitäten wie dem Frauenfrühstück, dem Seniorenmittagessen, dem Picknick mit den Kindergruppen, den Worship-Nights, den Bibelkreisen, den Teen-Events und vielen anderen Aktionen wie beispielsweise einem Bibellese-Marathon (ganztätiges offenes Haus mit durchgängiger Lesung) bekommen alle mehr miteinander zu tun. Die Musik in den Gottesdiensten ist weiterhin vielfältig: mal ohne und mal mit instrumentaler Begleitung, mal Hymnen, Gospel oder Worship-Songs.

 

Elke Klimke

Micha Brück (r.), ehemaliger Prediger der ICOC und heutiger Pastor der  vereinigten Gemeinde mit Rosel und Reiner Kallus, dem Prediger der (ursprünglichen) Gemeinde Christi, der inzwischen verstorben ist.

 

Foto: privat

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