„NeuGier" in Beziehungen
Autor: Micha Brück
Warum? Wieso? Weshalb?
In bestimmten Lebensphasen fragen Kinder uns Erwachsenen „Löcher in den Bauch". Sie wissen wenig, und geben auch nicht vor, viel zu wissen.Kinder scheinen schier über zu sprudeln vor Neugier.
„NeuGier“: Gierig sein auf etwas Neues… Gier ist ein starker Ausdruck. Es drückt ein inneres Verlangen aus. Man stelle sich jemanden vor, der eine Woche nichts zu essen bekommen hat und nun vor einem reich gedeckten Tisch steht. Gier spiegelt ein Verlangen wider, das gar nicht so leicht zu bändigen ist. Wie kann sich NeuGier positiv auf die Gestaltung unserer Beziehungen auswirken?
In unserer Gemeinde in München macht seit einigen Jahren ein Spruch die Runde: „Ich liebe ERNA“.
ERNA steht für die Begriffe Echtheit, Respekt, Neugier sowie Art und Weise.
Es geht hier um die Haltung, die wir in Beziehungen einnehmen. Haltungen trennen oder verbinden, verhärten Fronten oder können Konflikte auflösen.
Beispiel 1:
Vor Jahren saß ich als junger Student mit meiner damaligen Freundin in einem Pub in Gallway/Irland. Zur Tür herein kam ein, aus unserer Sicht damals, älterer Herr mit einer Gruppe von Frauen. Er trug eine Pilotenbrille, verfügte über ein hohes Mitteilungsbedürfnis und war offensichtlich ein Deutscher. Schnell hatten wir ihn in die Kategorie „peinlich“ eingeordnet, standen auf, setzten uns an den hintersten Tisch im Pub und begannen, eifrig zu lästern. Es wäre uns peinlich gewesen, wenn er womöglich erkannt hätte, dass wir auch Deutsche sind.
Es verging etwa eine halbe Stunde und plötzlich kam dieser Mann und stellte jedem von uns ein Glas Guiness auf den Tisch. Er hätte uns beobachtet, und wir hätten ihn an seine eigene Studentenzeit erinnert. Damals hätte er auch im Pub gesessen, hätte aber zu wenig Geld gehabt, um sich ein Bier leisten zu können. Das habe ihn motiviert, uns ein Bier zu spendieren. Ein langes Gespräch mit ihm folgte, und er erwies sich als ein sehr freundlicher und angenehmer Gesprächspartner. Man kann sich vorstellen, wie peinlich uns unser eigenes Verhalten ihm gegenüber war…
Beispiel 2:
Ich komme am frühen Abend zur Tür herein und es scheint „dicke Luft“ zu herrschen. Es gab wohl einen Konflikt zwischen meinem Sohn und meiner Frau. Ich höre nur was von „PC-Spiele“ und sofort habe ich natürlich die Lage in all ihren Dimensionen erfasst und nehme mir meinen Sohn zur Brust. Wie sieht es denn mit deinen Spielzeiten aus? Wie steht es im Gegenzug mit Lateinvokabeln? Aus der Reaktion meines Sohnes dämmert es mir nach und nach, dass ich so ziemlich am Thema vorbei „predige“ und das Thema PC-Spiele nur am Rande eine Rolle spielt…
Sprüche 18,17: Ein jeder hat in seiner Sache recht, kommt der Andere zu Wort, so findet es sich“
So schnell ist das eigene Bild der Situation gezimmert, und man meint, zu wissen, was los ist. Die eigenen Gefühle, Verletzungen, Sichtweisen scheinen erstmal die absolut richtigen zu sein. So ist es… Daraus entstehen dann schnell Vorwürfe…
Die Weisheitssprüche ermutigen uns, auch den anderen zu Wort kommen zu lassen.
Was ist die „Geschichte“ hinter der Situation?
NeuGierig sein und Fragen stellen: Was ist eigentlich genau los? Warum hast du so reagiert? Was hat dich verletzt? Was brauchst du von mir? Was hätte ich anders ausdrücken oder tun können? Kannst du meine Sicht nachvollziehen?
Mich verletzlich machen: Ich hatte Angst, dass… . mein Bedürfnis ist… . Ich hätte mir gewünscht… .
Dazu ist es aber notwendig, dass ich mich „entleere“, damit ich überhaupt eine neue Sichtweise aufnehmen kann. Ich darf Raum schaffen in meinem Herzen für Neues.
Jesus ist uns da ein Vorbild: Im Brief an die Philipper heißt es im Kapitel 2, 1-8.
1 Nicht wahr, es ist euch wichtig, einander im Namen von Christus zu ermutigen? Es ist euch wichtig, euch gegenseitig mit seiner Liebe zu trösten, durch den Heiligen Geist Gemeinschaft miteinander zu haben und einander tiefes Mitgefühl und Erbarmen entgegenzubringen?
2 Nun, dann macht meine Freude vollkommen und haltet entschlossen zusammen! Lasst nicht zu, dass euch etwas gegeneinander aufbringt, sondern begegnet allen mit der gleichen Liebe und richtet euch ganz auf das gemeinsame Ziel aus.
3 Rechthaberei und Überheblichkeit dürfen keinen Platz bei euch haben. Vielmehr sollt ihr demütig genug sein, von euren Geschwistern höher zu denken als von euch selbst.
4 Jeder soll auch auf das Wohl der anderen bedacht sein, nicht nur auf das eigene Wohl.
5 Das ist die Haltung, die euren Umgang miteinander bestimmen soll; es ist die Haltung, die Jesus Christus uns vorgelebt hat.
6 Er, der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm stand, nutzte seine Macht nicht zu seinem eigenen Vorteil aus.
7 Im Gegenteil: Er verzichtete auf alle seine Vorrechte und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener. Er wurde einer von uns – ein Mensch wie andere Menschen.
8 Aber er erniedrigte sich ´noch mehr`: Im Gehorsam gegenüber Gott nahm er sogar den Tod auf sich; er starb am Kreuz ´wie ein Verbrecher`.
9 Deshalb hat Gott ihn auch so unvergleichlich hoch erhöht und hat ihm ´als Ehrentitel` den Namen gegeben, der bedeutender ist als jeder andere Name.
Jesus „entleerte“ sich und kam auf unsere Augenhöhe herunter. Er geht sogar noch weiter und sieht sich als Diener.
Er müsste nicht auf meine Augenhöhe kommen: Er ist Gott und hat in jeder Situation den richtigen Blick. Er hätte es nicht nötig, auf mich einzugehen. Und doch will er meine „Geschichte“ verstehen, weil es ihm um die Beziehung geht, nicht ums Recht haben.
Geht man durch die Evangelien ist es auffällig, wie oft Jesus Fragen stellt….
Man will nicht unbedingt im Rufe stehen, gierig zu sein, aber die NeuGier im oben beschriebenen Sinn ist in meinen Augen eine Tugend.
In diesem Sinne: „Werden Sie wie die Kinder“ und seien Sie NeuGierig. Machen Sie sich „leer“ und stellen Sie Fragen. Lernen Sie die „Geschichte“ des Gegenübers kennen. Sie werden staunen…